Merke Dir, Sternburgbier. Eine deutsche Brauerei und die Schwierigkeit von Tradition (Gastbeitrag)

Stefan Gerbing und Carsten Henning interessieren sich für Geschichtspolitik – und für Bier. Der folgende Text beruht auf einer gemeinsamen Forschung der Autoren für die Sterni-Konferenz der Kollektivkneipe Tristeza und einem auf dieser Grundlage entwickelten Vortrag für die Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig (04.12.2014). Eine frühere Version dieses Textes erschien im Magazin *prager frühling und im Bierblog „Bier in Leipzig“. Wir danken den Autoren, dass sie uns den Text zur Verfügung gestellt haben.

Fotos im Text: privat


Seit einigen Jahren gehört Sternburg zu den absatzstärksten deutschen Biermarken. Als Teil der zur Dr. Oetker AG gehörenden Radeberger Gruppe hat es das Ende der neunziger Jahre akut von der Schließung bedrohte Brauhaus in Reudnitz geschafft, die Marke unter den Top-15 der meistverkauften Biere zu etablieren. Dies ist besonders bemerkenswert, da Sternburg ausschließlich im Osten der Bundesrepublik vertrieben wird.

Das Marketing der Brauerei setzt seit gut einem halben Jahrzehnt auf ein deutlich subkulturell gefärbtes Marken-Image. Während bis 2009 SchlagersängerInnen wie Linda Feller und Frank Schöbel sowie Künstler wie der jüngst verstorbene Achim Mentzel die „Brauereifeste“ prägten, treten heute Punkbands wie Heckschaden, Kotzreiz oder die Terrorgruppe auf. Am Beginn dieses radikalen Imagewandels stand der Besuch eines Sternburg-PR-Teams auf der „Freiheit-statt-Angst“-Demo 2011. Aus einer umgebauten Polizeiwanne mit dem Schriftzug „Brauerei“ statt „Polizei“ verteilten Mitarbeiter Bier an die Demonstrierenden.

Geschichtsmarketing mit Lücken

Demgegenüber bezieht sich die Firma aber auch ausdrücklich auf die vermeintlich fast zweihundertjährige Geschichte der Marke. Anlässlich des entsprechenden Jubiläums druckte die Brauerei stolz die Zahl 190 auf Sternburg-Jubiläums-Shirts und auf die Flaschenetiketten. Eine Art Chronik auf deren Webseite ist mit der Überschrift „Bier mit Tradition“ versehen. Wie jedes History-Marketing, insbesondere in Deutschland, provoziert dies Fragen.

Zwar ließe sich mit gewissem Recht sagen, dass nach den vielen Brüchen in der Markengeschichte, nach Gesellschafterwechseln, Verstaatlichung, Privatisierung, Betriebsschließungen und mehrfachen Eigentümerwechseln die heutige Firma mit der Freiherr von Sternburg’schen Brauerei Lützschena mehr als den Namen nicht gemein habe. Wenn eine Firma jedoch beschließt, sich auf die „Tradition“ einer Marke zu berufen, dann sollte sie deren Geschichte in Grundzügen kennen und sich vor allem dazu verhalten. Schließlich ist die Geschichte der Sternburgbrauerei eben auch Teil der Sozial- und Gewaltgeschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert.

Weder von Kenntnis noch von Positionierung zur Markengeschichte ist auf der Sternburg-Seite oder in anderen Firmenveröffentlichungen etwas zu bemerken. Die bereits zitierte Chronik ist ein historischer Lückentext, in der weder die (relativ überschaubare) zwangsweise Beschäftigung von Strafgefangenen zu DDR-Zeiten noch die Geschichte der Brauerei im Nationalsozialismus überhaupt nur erwähnt wird. Da die Überlieferungslage bei letztgenanntem Thema verhältnismäßig gut ist, soll hier ein kurzer Einblick in die Rolle der Brauerei bei der Zerschlagung der Arbeitersportvereine ab 1933 und die Beschäftigung von ZwangsarbeiterInnen im Zweiten Weltkrieg gegeben werden.

Nazis in der Brauerei

NSDAP-Geschäftsstelle Lützschena (Foto: privat)

Bereits 1932 berichtete die sozialdemokratische Presse über das „Nazinest in der Brauerei“, da mehrere namentlich bekannte Anführer des „SA-Sturm 21“ Angestellte der Brauerei waren. Der Kassenwart der Lützschenaer NSDAP betont stolz, dass die Sternburger NSDAP-Betriebszelle die „erste in der Brauindustrie im ganzen Kreis Leipzig“ gewesen sei. Von Seiten der Arbeiterbewegung gab es daher bereits zu Zeiten der Weimarer Republik Boykottaufrufe.

Über diese schreibt der bereits erwähnte nationalsozialistische Funktionär:

„Gemäß unserer politischen Aktivität […] wurde die Brauerei Sternburg durch Informationen der marxistischen Presse an die Öffentlichkeit weitgehendst (sic.) boykottiert. Wir verloren damals die ganzen Straßenbahnhöfe, marxistische Arbeiterlokale, Gartenkantinen usw.“

Die Brauerei sah sich daraufhin dazu gezwungen klarzustellen, dass die Tätigkeit der bei der Firma angestellten Nazis nicht die Position der Direktion widerspiegle. In einem Leserbrief an die Leipziger Volkszeitung heißt es:

„Politik wird in der Brauerei Sternburg überhaupt nicht getrieben, es wird auch niemand nach seiner politischen Meinung gefragt oder beurteilt.“

Das galt in jedem Fall für die NSDAP-Parteigenossen. Der bereits zitierte Kassenwart der NSDAP-Ortsgruppe konstatierte:

„Trotz des auf die Direktion ausgeübten Druckes behielten wir […] unsere Arbeitsplätze.“

Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten wurde dann sehr wohl nach der politischen Einstellung der Mitarbeiter gefragt. Die Mitglieder der NSDAP-Betriebszelle stellten im April 1933 eine Liste mit „feindlichen Elementen“ auf, die anschließend entlassen wurden. Insgesamt mussten 13 Kommunisten und Sozialdemokraten gehen. Neue Arbeit fanden sie nur schwer. So meint ein gekündigter Kommunist, dass die Anstellung in verschiedenen anderen Leipziger Brauereien durch den ebenfalls bei Sternburg arbeitenden stellvertretenden NSDAP-Kreisleiter Gustav P. hintertrieben worden sei. Aber auch in den folgenden Jahren gab es immer wieder politisch motivierte Entlassungen. So wurde einem Heizer im Mai 1934 gekündigt, weil er den Nutzen der NS-Freizeitorganisation ‚Kraft-durch-Freude‘ in Zweifel gezogen habe und „bei jeder Gelegenheit, wo er glaubt Gesinnungsgenossen vor sich zu haben, hämische und Zweifel sähende Bermerkungen fallen“ lasse.

Chabeso-Werbung der Brauerei Sternburg mit „deutschem Gruß“ (Foto: privat)

Der Terror der Nazis betraf auch die Geschäftskunden von Sternburg. Viele der Arbeitersportvereine Leipzigs betrieben Gaststätten und sogenannte Sportlerheime. Mit diesen Einrichtungen bestanden langfristige Bierlieferverträge. Als die Vereine zwangsaufgelöst wurden, versuchte Sternburgmitarbeiter und NSDAP-Kreisleiter Gustav P. aus der Auflösung der Vereine Kapital zu schlagen. Die Vereine bürgten mit ihrem Vermögen oder Grundstückshypotheken für die Bezahlung der Bierlieferungen. Um die noch bestehenden Verbindlichkeiten zu begleichen, verhandelte P. mit den Zwangsverwaltern und erreichte offenbar in einigen Fällen, dass die Brauerei Grundstücke mit einem deutlich höheren Wert, als die geschuldeten Außenstände, zugesprochen bekam. So hatte der Arbeiter Turn- und Sportverein Leipzig-Probstheida 6400 RM Außenstände bei Sternburg. Im Juni 1935 schreibt Gustav P. über den Fortgang der Verhandlungen an die Direktion, man sei sich mit dem Treuhänder einig und bekomme die Turnhalle des Vereins mit einem Verkehrswert von stattlichen 14.300 RM.

Zwangsarbeit bei Sternburg

Spätestens ab 1940 arbeiteten ZwangsarbeiterInnen bei Sternburg. Die Brauerei besaß ein eigenes ZwangsarbeiterInnenlager im Lützschenaer „Volkshaus“, einem ehemaligen SPD-Lokal. Weitere Arbeiter waren offenbar in der Brauerei sowie in einer örtlichen Gastwirtschaft untergebracht. Die ArbeiterInnen kamen überwiegend aus dem Protektorat Böhmen und Mähren, aus der Slowakei, aus Polen und aus Frankreich. Im Jahr 1942 arbeiteten mindestens 50 AusländerInnen bei Sternburg. Der Anteil der ZwangsarbeiterInnen entsprach damit 13 Prozent der Gesamtbelegschaft. Von 18 tschechischen Arbeitern sind Personalkarten überliefert. Der jüngste von ihnen war gerade mal 19 Jahre alt, zwei hatten daheim minderjährige Kinder, die Hälfte der ZwangsarbeiterInnen war verheiratet. Neben der schweren Arbeit im Flaschenkeller und auf dem Hof, fuhren einige der Zwangsarbeiter auch auf Fuhrwerken als Beifahrer mit. Sie mussten beim Abladen der Fässer und der Flaschenbierkästen helfen. Die Zwangsarbeit bei Sternburg fand also nicht nur auf dem Firmengelände, sondern vor den  Augen und unter den Ohren der Bevölkerung statt.

Adolf-Hitler-Spende von der Brauerei Sternburg GmbH an die NSDAP (Foto: privat)

Immer wieder waren die Arbeiter gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt. So behauptet der Betriebsdirektor, als er 1945 mit Übergriffen auf Zwangsarbeiter konfrontiert wurde, er habe „strikt untersagt […], Ausländer zu schlagen. Trotzdem sollen wiederholt Ausländer geschlagen worden sein, K. [Betriebsobmann bei Sternburg und NSDAP-Propagandaleiter der Ortsgruppe] habe sogar einen Ausländer erschossen noch kurz vor dem Einrücken der Amerikaner.“

Um nicht missverstanden zu werden: Die Sternburgbrauerei unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht nicht von anderen Firmen in Deutschland. Während des NS haben 13 Millionen ZwangsarbeiterInnen in Deutschland gearbeitet. Kaum ein Betrieb hat in dieser Zeit nicht den durch den Kriegseinsatz verursachten Personalmangel durch die Ausbeutung von ZwangsarbeiterInnen ausgeglichen. Im Vergleich zu anderen Unternehmen, die z.B. an der „Arisierung“ jüdischen Eigentums beteiligt waren, erscheinen die Beträge die Sternburg aus der Zerschlagung der Arbeitersportvereine zog, gering.

 

Dennoch: Wer sich auf „Geschichte“ und „Tradition“ beruft, den trifft die Verpflichtung sich ebendieser Geschichte zu stellen.

 

Autor: Stefan Gerbing


Eine Präsentation und ein Transkript des oben genannten Vortrags findet sich hier:
Prezi-Präsentation „Merke Dir, Sternburgbier!? Die Sternburg-Brauerei während des Nationalsozialismus und im Zweiten Weltkrieg.“ (04.12.2014)

Den Audiomittschnitt des Vortrags gibt es hier:
Audiomittschnitt „Merke Dir, Sternburgbier!? Die Sternburg-Brauerei während des Nationalsozialismus und im Zweiten Weltkrieg.“ (04.12.2014)

Zum Weiterlesen über Zwangsarbeit in Sachsen:
Kolditz, Gerald; Ludwig, Jörg (Hrsg.): Fremd- und Zwangsarbeit in Sachsen 1939 – 1945 : Beiträge eines Kolloquiums in Chemnitz am 16. April 2002; Halle (Saale); Dresden, 2002

Übersicht Zwangsarbeiterlager in Leipzig und Umgebung:
Fickenwirth, T.; Horn, B.; Kurzweg, C.; Stadtarchiv Leipzig: Fremd- und Zwangsarbeit im Raum Leipzig 1939-1945: Leipziger Univ-Verl., 2004

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